Die Corona-Pandemie wirft ethische Probleme auf. Die in dieser Woche begonnene Diskussion in den Medien verdeutlicht das nochmal. Der Ethikrat hat in einer Stellungnahme betont, dass Alter oder Behinderung die Entscheidung, ob ein Mensch mit einer schweren Corona-Infektion  beatmet wird oder nicht, nicht beeinflussen darf.  Bei steigenden Fallzahlen kann sich aber in Kliniken die Situation ergeben, dass es mehr beatmungspflichtige Patient:innen als Beatmungsplätze gibt. Die vorstellbaren Konfliktsituationen sind komplex: Soll etwa die lebenserhaltende Therapie eines Patienten zu Gunsten eines anderen beendet werden? Richtig zufriedenstellende Antworten gibt die Stellungnahme des Ethikrats nicht – das ist vielleicht auch gar nicht möglich. Man mag sich gar nicht vorstellen können, welche seelische Belastung eine solche Situation für die Ärzt:innen darstellt, die solche Entscheidungen treffen müssen. Hier ist der Staat gefordert Regeln aufzustellen, die den Ärzt:innen helfen, gerechte und auch juristisch gute Entscheidungen zu treffen. Im stark von der Pandemie betroffenen Elsass hat es letzte Woche einen Erlass gegeben, über 80 Jährige nicht mehr zu beatmen (s.zB. hier). Ich möchte dies ethisch hier nicht bewerten. Für die betroffenen Ärzt:innen stellt der Erlass der Landesregierung aber eine klare von der Gesellschaft bzw. Politik getragene Regel dar, anhand der entschieden werden kann.

Unser Institut, in erster Linie Joachim Hübner und Fabian Frielitz, haben sich zu dieser Thematik ebenfalls Gedanken gemacht und einen Artikel verfasst, der in Kürze in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift erscheinen wird und die Diskussion zu dem Thema ergänzen wird.

Wo der Stellungnahme des Ethikrats hundertprozentig zuzustimmen ist,  ist der Appell, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen bzw. durchzuhalten, um die Anzahl der schwer Erkrankten so niedrig zu halten, dass es in Deutschland gar nicht zu solchen Situationen kommt, wie wir sie aus Spanien, Italien oder dem Elsass kennen.

Abschließend möchte ich noch einen weiteren ethischen Gedanken aufbringen, auf den mich Heiner Fauteck aus unserem Institut aufmerksam gemacht hat und den er in einem Chat schon kommentiert hat. Es geht um den Begriff des „Harvesting“ – also des Erntens und hier in Verbindung mit den Corona Todesfällen. Es gibt Menschen, die argumentieren, dass am Corona-Virus im Wesentlichen sowieso nur Menschen sterben, die in der nächsten Zeit sowieso sterben würden – also „alles gar nicht so schlimm“.

Heiner Fauteck hat folgendes dazu geschrieben:

„Ich habe gelernt, dass sich dies “Harvest-Effekt” nennt: Wenn man zur Ernte das Apfelbäumchen schüttelt, fallen vornehmlich die Äpfel, die in den nächsten Tagen sowieso herunterfallen würden.

Ich weiß: das klingt hart und ist für die Betroffenen auch wenig tröstlich. Meine Mutter ist 82 und es wäre mir lieber, wenn sie erst in ein paar Jahren vom Baum fiele, als dass sie in diesem Jahr schon heruntergeschüttelt würde. Und deshalb werden wir einiges tun, um sie zu schützen. Für sie einkaufen, möglichst wenige Kontakte, keine riskanten Oma-Besuche unserer Kinder, … und vorgestern habe ich sie zur Pneumokokkenimpfung geschickt.“

Eigentlich gibt es da gar nichts zu ergänzen. Wer mit dem Harvest-Effekt argumentiert, um die Wirtschaft wieder ankurbeln oder vielleicht mit den Freunden wieder Party machen zu können, der handelt aus meiner Sicht absolut unethisch, egoistisch und menschenverachtend.

PS: Auch meine Mutter und Schwiegereltern sind um die 80 und es wäre schön, wenn sie uns noch einige Jahre erhalten blieben.

PPS: Corona kann auch junge, gesunde Menschen vom Baum pflücken. Hängt nur davon ab, wie heftig man schüttelt.

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